Vereinbarkeit von Beruf und Pflege – Es ist kompliziert

Viele Gespräche über Familienfreundlichkeit mit Entscheidern in Unternehmen beginnen immergleich: „Die Eltern unter den Mitarbeitenden werden unterstützt, es gibt flexible Arbeitszeitmodelle, Homeoffice wird ermöglicht und man ermutigt Väter dazu, Elternzeit zu nehmen – Punkt.“ Oft wird das Thema dann auch an die HR-Abteilung delegiert, denn die eigenen Kinder sind groß oder anderweitig versorgt und deshalb sei man selbst nicht so „betroffen“.

Der Begriff Vereinbarkeit ruft zuerst die Assoziation zu Kindern hervor. Jedoch fällt genauso der Bereich der häuslichen Pflege darunter. Wir alle haben Eltern und Großeltern, die oftmals ab einem gewissen Alter nicht mehr so können, wie sie wollen und wie es für deren Eigenständigkeit erforderlich ist. Dann ist häufig der Einsatz der erwachsenen Kinder gefragt, um die Pflege zu organisieren, diese mit dem eigenen Arbeitgeber abzustimmen und selbst für die zu pflegende Person da zu sein. Schlimmer noch, durch Unfall oder Krankheit kann der eigene Partner von heute auf morgen pflegebedürftig sein – ein Thema, das gesellschaftlich kaum Beachtung findet. Doch welche rechtlichen Möglichkeiten gibt es eigentlich, Pflege und Beruf unter einen Hut zu bringen? Wo wird Unterstützung angeboten? Was kann ich mit meinem Arbeitgeber vereinbaren? Eine Annäherung.

Zunächst stellt sich die Frage, was überhaupt unter den Begriff Pflege fällt. Diese beginnt in den meisten Fällen nicht erst mit der rechtlichen Einordnung in eine Pflegestufe, sondern schon viel früher mit verschiedenen Betreuungsleistungen, die alle Zeit in Anspruch nehmen. Doch gerade, wenn noch keine intensive Pflege für einen Angehörigen notwendig ist, versuchen die meisten Pflegenden, weiterhin ihrem Beruf uneingeschränkt nachzugehen. Durch diese beiden Aufgaben sind sie zwar zeitlich sehr eingespannt, erleben aber durch den Beruf auch einen Ausgleich zu den Betreuungs- und Pflegeaufgaben zu Hause. Das zeigt eine Studie des Familienministeriums. Dieser Ausgleich ist extrem wichtig, um die anstrengenden Situationen zu Hause besser zu meistern. Doch oft scheuen sich Arbeitnehmer auch, Ihrem Arbeitgeber von der Betreuungssituation zu Hause zu erzählen, aus Angst vor Nachteilen im Job oder Unverständnis. Hier liegt noch viel Aufklärungsarbeit vor uns, um die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ähnlich breit in der Öffentlichkeit zu diskutieren, wie das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Zumal sich durch die Bevölkerungsentwicklung das Thema in den kommenden Jahren noch deutlich zuspitzen wird.

Rein rechtlich ist die Pflege von Angehörigen im Pflegezeitgesetz und im Familienpflegegesetz geregelt. Es ist mit gewissen Ankündigungsfristen möglich, sich bis zu 24 Monate (auch mit Unterbrechungen möglich) vom Job freistellen zu lassen, um einen Angehörigen zu betreuen. Bei einem Notfall ist eine kurzfristige Freistellung auch ohne Ankündigung für 10 Tage mit Lohnersatzleistung durch die Pflegekasse des zu Pflegenden möglich. Fällt man länger aus im Job, gibt es seit Januar 2015 die Möglichkeit ein zinsloses Darlehen beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben zu beantragen, um den Einkommensverlust abzufedern. Das sind aber nur die wichtigsten Infos. Die beiden Gesetze regeln noch deutlich mehr in Bezug auf die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer während einer Pflegesituation. Es lohnt, hier einmal in die Website des Familienministeriums reinzulesen. Hier wird verständlich erklärt, welche Rechte und Pflichten bestehen.

Abseits aller rechtlichen Regelungen geht es aber auch darum, uns alle für das Thema zu sensibilisieren. Ähnlich wie beim Thema Beruf und Familie müssen wir ein viel breiteres Bewusstsein dafür schaffen, wie groß dieses Thema ist und wie wenig trotzdem darüber öffentlich diskutiert wird. Pflege gilt als anstrengend, belastend, zeitraubend und nicht selten überfordernd. Schlicht als unangenehmes Thema. Sie wird mit Unselbstständigkeit, Krankheit und am Ende auch mit dem Tod des geliebten Menschen in Verbindung gebracht. Das macht sie zu einem Thema, über das niemand gerne spricht. Wir glauben, dass wir das ändern sollten! Denn bei allen belastenden Seiten, die das Thema Pflege und Betreuung ohne Frage mit sich bringt, gibt es mehr als nur das. Familien rücken wieder enger zusammen. Es werden mehr gemeinsame Erlebnisse geschaffen, Gespräche entstehen zwischen Familienmitgliedern, die schon lange nicht mehr wirklich miteinander gesprochen haben, neue Beziehungen entstehen, alte werden aufgefrischt. Pflege kann bei all den unangenehmen und aufwändigen Seiten auch ganz neue Facetten in allen Beteiligten hervorbringen. Und auch wenn sich niemand gern mit diesem Thema auseinandersetzt, betrifft es früher oder später einen großen Teil der Bevölkerung. Deswegen ist es so wichtig, dafür mehr Aufmerksamkeit zu schaffen.

Letztlich sind die Prozesse im Unternehmen hinsichtlich Arbeitszeitflexibilisierung, Beratung, Kommunikation etc. übrigens sehr ähnlich zu denen, die junge Eltern benötigen – Familienfreundlichkeit darf deshalb gerne deutlich vielschichtiger betrachtet werden.

Quellen:

https://www.erfolgsfaktor-familie.de/fileadmin/ef/data/mediathek/Leitfaden_BerufundPflege_barrierefrei.pdf

https://www.bmfsfj.de/blob/93370/75939e1201ed3d62e6a11e52357552b0/bessere-vereinbarkeit-von-familie-pflege-und-beruf-flyer-data.pdf