Ich schalte dann mal mein Handy aus

Na da hatte ich mich ja wieder mal wunderbar verplappert: „Was möchtet ihr gerne ändern?“ hatte der Workshopleiter gefragt und ich antwortete prompt: „Meinen Handykonsum!“. War doch klar, dass zum Ende des Workshops daraus jetzt eine Aufgabe für mich abgeleitet würde. Er grinst und ich kann mir gerade noch mit dem Mittelfinger über den Nasenrücken reiben und dabei in seine Richtung schauen – wir verstehen uns.

Am Ende des Tages habe ich mir selbst die Aufgabe gestellt, für fünf Tage jeweils von 18 bis 7 Uhr mein Mobiltelefon in den Flugmodus zu schalten. Beginn ist gleich am nächsten Tag. Für heute habe ich gerade noch die Ausrede, dass ich nach dem Workshop ja noch mit meiner Familie telefonieren will.

Auf der Heimfahrt überlege ich mir ernsthaft, was ich mir da eingebrockt habe und ob ich das irgendwie umgehen kann. Aber nein, ich ziehe das jetzt durch.

Muß ich irgendwas beachten, oder kann ich mein Telefon einfach abschalten? Sicherheitshalber informiere ich erstmal meine Frau. Sie grinst und wünscht mir viel Erfolg. Meinen Messengerstatus ändere ich auch: „offline von 18 bis 7 Uhr“. Wer mich in dieser Zeit erreichen möchte, muß jetzt das Festnetz nutzen oder warten. Notfalls ist an unserem Haus ein Knopf montiert, mit dem man ein akustisches Signal an die Bewohner richten kann und diese damit zum Öffnen der Tür auffordert. Meine Freunde können also bei uns klingeln und fragen, ob Robert zum Spielen rauskommt.

Es ist Montag der 24. Juni 2019, 18 Uhr, ich drücke auf das kleine Flugzeugsymbol auf meinem Display und werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ich dann keine Anrufe, Nachrichten oder Daten mehr nutzen kann – mein Handy zweifelt auch.

Und dann passiert erstmal nichts. Ist mein programmierter Post online gegangen? Keine Ahnung, darauf muß ich jetzt vertrauen. Wie viele Likes hat der letzte Beitrag? Egal, sehe ich mir morgen an. Das Geburtstagsgeschenk für meine Frau muß ich noch bestellen – morgen! Und was bedeutet dieses Wort in der Bedienungsanleitung der Kaffeemaschine? Unwichtig, Google ist auch am Dienstag noch online.

Mir drängt sich die Frage auf, ob ich hier gerade nur eine Welle auftürme, die ich vor mir herschiebe, um sie am nächsten Tag dann am Handy abzuarbeiten. So richtig entspannend wäre das dann aber nicht. Der Wunsch, meinen Handykonsum zu ändern war beim Workshop ja nicht nur ein spontaner Impuls. Mir war schon bewußt, dass mir die Welt der mobilen Daten nicht nur guttut. Ich greife sehr oft „mal kurz“ zum Handy und checke irgendwas. Jedes Mal reißt mich das aus dem aktuellen Geschehen raus, lenkt mich ab und verärgert schlimmstenfalls meine Mitmenschen, weil ich mich gerade nicht auf sie konzentriere. Eine App hat mir mal attestiert, dass ich innerhalb von 24 Stunden mein Telefon 67 Mal entsperrt hätte. Wenn mich das jedes Mal nur eine Minute aus dem Geschehen gerissen hat, habe ich damit über eine Stunde des Tages verloren. Und wie viele der 67 Mal waren wirklich notwendig oder hilfreich?

Es ist sieben Uhr am Dienstagmorgen. Ich bin kurz vor sechs Uhr aufgestanden. Gestern Abend habe ich so viele Seiten des Buches auf meinem Nachttisch gelesen, wie schon lange nicht mehr. Normalerweise hätte ich bestimmt auch nochmal aufs Handy geschaut. Geschlafen habe ich gut und starte ausgeruht in den Tag. Frühstück und Pausenbrote für die Familie sind schnell gemacht, mein Handy vibriert an diesem Morgen nicht und lädt mich zum flüchtigen Blick ein. Viele Newsletter erreichen mich sonst zwischen 5 und 7 Uhr morgens und lassen mich kurz denken, dass gerade jemand etwas von mir will. Bevor der Rest der Familie aufsteht habe ich noch ein paar Minuten Zeit. Im Wohnzimmer liegt eine Zeitung. Ich mit Kaffee und Printmedium ohne Störung – wann gab´s das denn das letzte Mal? Die Zeit ist schön, geht aber auch schnell rum. Pünktlich zum Ende der Medienpause schalte ich mein Handy wieder ein. Jemand muß eine Kettensäge eingeschaltet haben – es brummt und brummt und brummt: die Nachrichten der letzten 13 Stunden rollen ein. Jetzt schaue ich ganz bewußt nicht aufs Handy, die Familie frühstückt. Danach bringe ich meinen Sohn zur Kita und werfe noch auf dem Parkplatz einen Blick aufs Telefon. Mist, gleich die erste SMS sagt mir, dass mein Chef mich gestern anrufen wollte. Die Nachbarschaftsgruppe tauscht sich über die aktuellen Bauarbeiten aus – da muß ich mich nachher gleich mal auf den aktuellen Stand bringen. Mein Neffe bekommt seinen ersten Zahn – süß. Und 25 Anbieter begrüßen mich mit Schnäppchen in der neuen Woche.

Auf dem Weg zur Arbeit ruft mein Chef an. Er berichtet mir von einer Tagung am Vortag. Dass er mir das gestern Abend auch schon schnell sagen wollte, hat er gar nicht mehr auf dem Schirm – war also nicht kriegsentscheidend.

Der Tag verläuft ganz normal. Nichts war letzte Nacht so wichtig, dass es nicht bis 7 Uhr warten konnte und was ich googlen wollte, habe ich inzwischen vergessen.

Es wird 18 Uhr und ich drücke wieder auf das kleine Flugzeug auf dem Display. Für heute habe ich mir vorgenommen, mit Junior über meine Aufgabe zu sprechen. Er bekommt genau mit, dass ich gerne mal auf´s Handy schaue. Er weiß, dass man damit mit Oma sprechen kann, dass es Fragen beantwortet und das da auch die Lieblingssendung oder ein Hörspiel rauskommen können. Ich sage ihm, dass er mir ganz wichtig ist und ich nicht möchte, dass mich ein Gerät davon ablenkt, wenn er gerade mit mir zusammen ist, wenn wir spielen oder uns etwas erzählen. Er nickt und erzählt mir fröhlich von seinem Tag. Schade, dass man in das kleine Köpfchen nicht reinschauen kann.

Wieder stelle ich am nächsten Morgen fest, dass ich nichts verpasst habe. In meinem Buch komme ich gut voran und überraschend viele Sachen stellen sich als nicht dringend heraus oder erledigen sich gleich von selbst.

Als ich an diesem Abend meine Datenleitung trenne, werde ich unruhig. Zwischen 18 und 20 Uhr soll der Wocheneinkauf geliefert werden. Wir sind ohnehin nicht ganz einfach zu finden und durch die aktuelle Baustelle tut sich ein neuer Fahrer bestimmt noch schwerer und dreht am Ende einfach um, wenn er mich nicht per Telefon nach der Strecke fragen kann. Als ich eine Stunde später den Einkauf verräumt habe, wird mir klar, wie wenig vertrauen ich manchmal in die Leute habe und wie lächerlich das ist. Klar kann ich nicht abschalten, wenn ich mich für so unentbehrlich halte.

Am nächsten Morgen freue ich mich schon richtig auf die paar Minuten am Morgen mit einem Kaffee und ohne das Handy. Mit dem Handy in der Hand arbeitet man ja doch immer irgendwas ab, auch wenn man rein privat reinschaut. Die berufliche und die private Welt sind dort einfach zu sehr verschmolzen. Selbst wenn es nur der Geburtstag des Kollegen ist, an den Xing einen erinnert, ist man gedanklich schon wieder in der Arbeitswelt. Und selbst wenn man beruflich nur Sachen macht, die einem Spaß machen und sein Hobby zum Beruf gemacht hat, braucht man mal Abstand -ausschließlich Schokolade zu essen macht schließlich auch überdrüssig.

Donnerstag, der vorletzte Abend meiner „Offline-Challenge“. Inzwischen habe ich der Sache einen Namen gegeben. 97% wünschen sich mehr Infos dazu auf Instagram. Ja da könnte ich ja jetzt gleich mal einen Post machen – STOPP! Es ist 18 Uhr, du machst hier heute gar nichts. Hier wird auch nicht geschummelt! Die Sache tut mir gut und außerdem hat der Workshopleiter mir gleich am ersten Abend eine Nachricht geschickt: „Brav! Dachte schon du würdest Dein Handy benutzen.“ Und an den bösen Blick meiner Frau habe ich dabei noch gar nicht gedacht. Ich verwerfe den Gedanken also wieder; die Follower werden es überleben.

Letzter Tag. Ich fühle mich gut! Tatsächlich habe ich in den Tagen NICHTS verpasst. Es ist auch nichts liegen geblieben oder mußte verschoben werden. Wenn ich morgen mein Telefon wieder einschalte, ist die Aufgabe erfüllt und ich könnte wieder ganz normal weitermachen. Will ich das? Ich könnte natürlich einfach sagen, dass ich mich selbst diszipliniere und einfach weniger rauf schaue, aber da würde ich mich wohl selbst belügen. Zu schnell wäre da „schnell mal was gegoogelt“ oder ein Beitrag geliked. Auf der anderen Seite könnte ich ganz radikal meine altes Nokia 1610 wieder reaktivieren und mich freuen, dass ich es nur noch alle sieben Tage aufladen muß. Mit der Welt wäre ich dann per SMS und Telefonaten im Austausch. Das ist natürlich Quatsch. Das Handy ist kein Teufelszeug und auch nicht per se schädlich. Ich kann mit vielen Leuten ortsunabhängig in Kontakt bleiben, mir steht das Wissen der Welt zur Verfügung, ich kann den mir wichtigen Themen damit gehör und Sichtbarkeit verschaffen, die schönsten Momente kann ich damit im Bild festhalten und mit anderen teilen. Meine Familie ist damit ganz nah bei mir, auch wenn wir mal weit voneinander entfernt sind. Und meine Lieblingspodcasts und Musikalben habe ich immer verfügbar. Ich möchte es gar nicht mehr missen. Ich möchte aber klar spüren, wer hier wen ein- und ausschaltet und wer hier Nutzer und wer der Assistent ist.

Als erstes deaktiviere ich deshalb alle Push-Nachrichten und bestelle die meisten Newsletter ab. Ich bin dann nicht mehr verleitet, dauernd auf vermeintliche Nachrichten zu reagieren und ich muß nicht nach einer Auszeit erstmal Massen sinnloser Emails sichten. Eine Kernauszeit gönne ich mir vorerst weiter: von 20 bis 6:30 Uhr bleibt mein Handy im Flugmodus. Wie ich auf Dienstreisen verfahre, weiß ich ehrlich gesagt noch nicht. Wahrscheinlich setze ich da mit der Regel aus oder verkürze die Kernauszeit. Das Ritual des abendlichen Videoanrufs bei der Familie möchte ich da nicht missen.

Fünf Tage sind sicher noch nicht repräsentativ und sicher gibt es Situationen, wo es sehr schwer fallen wird, das Handy einfach abzuschalten. Aber schon deshalb werde ich das Experiment weiter fortführen und sicher auch dokumentieren.

Dann bis morgen um halb sieben…

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